Immer noch da.

Ein Kommentar

Ja, wir sind immer noch da! Weil man so schnell nicht kaputt geht und weil die Sonne immer wieder aufgeht!

Kasalla – „Immer noch do“ (Im Orijinaal opp Platt.)

Nein, das wird kein verspäteter Karnevalspost. In den letzten zwei Jahren hat uns das Schicksal alles um die Ohren gehauen, was nur irgendwie ging. Musik trägt mich durch viele Gefühlslagen. Das Lied „Immer noch do“ ist mir in dieser Zeit zum Motto geworden. Bin ich am Boden, drehe ich es voll auf! Zweimal, Fünfmal, Zehnmal – so oft, bis es mir wieder besser geht.

Aber was ist denn nun passiert? Vor zwei Jahren ist unser Nachwuchs in die Schule gekommen. Fröhlich wie immer und stolz wie Oskar, ging es zum ersten Mal mit Schulranzen und Schultüte zum Schulbus. Eine Einschulung mitten in Pandemiezeiten! In der Schule hat man sich alle Mühe gegeben, eine schöne Einschulungsfeier zu organisieren. Gemessen an den Umständen, war sie auch schön. Aber eben improvisiert. Keine Großeltern und Patentanten, die an der Feier teilnehmen durften. Betretungsverbot in der Schule für die Eltern. Maskenpflicht. Kontaktbeschränkungen. Und nach nur 3 Monaten Schule: Distanzunterricht. Puh, das ist eine ganz schöne Hausnummer für so nen Erstklässler! In meinen letzten Beiträgen hatte ich noch darüber berichtet.

Und wir Eltern? Glücklicherweise konnten wir beide relativ zeitnah ins Homeoffice gehen. Und nur so war es möglich, unserem Kind lesen, schreiben und rechnen beizubringen. Wir haben Bilder gemalt, Musik gehört, einen großen Gemüsegarten angelegt. Hühner angeschafft. Weil es unseren Lebensstil unterstreicht und weil es uns die nötigen Strukturen gegeben hat, um die unsichere Zeit zu überstehen. All das haben wir neben unseren Jobs gestemmt. Irgendwie. Ich weiß nicht mehr wie.

Mitten in der zweiten Welle der Pandemie sind die geliebten Großeltern verstorben. Ein Corona-Ausbruch im Pflegeheim. Schnell ist es gegangen. Ohne lange leiden zu müssen. Immerhin. Aber einsam. Niemand durfte in ihr Krankenzimmer, wenigstens noch einmal ihre Hand halten. Zum Begräbnis durften drei Angehörige gehen. Und das in einer so großen Familie, in der zusammen gerückt wird, wenn noch einer dazu kommt. Auch, wenn schon vorher gar kein Platz mehr war.

Gerade glaubten wir, dass wir die turbulenten Monate schon irgendwie wegstecken würden, da brach die Flut über uns herein. DIE Flut. Wochenlang kannten die Nachrichten kein anderes Thema mehr. Und wir mittendrin. Experten haben es später als ein 10.000jähriges Ereignis bezeichnet. Unser Heim und unser geliebter Garten wurden von nie dagewesenen Wassermengen überschwemmt. Keller und Erdgeschoss waren geflutet. Im Ort waren die Straßen weggespült. Autos, Wohnmobile, Kleintransporter wurden wie Spielzeug durch die Gegend gespült. Häuser mussten abgerissen werden. Zum Glück: Nicht unseres. Unser Garten glich einem Schlachtfeld. Am Tag danach gab es keinen Baum, keinen Strauch, keine Hecke, keinen Gartenschuppen, kein Spielzeug und keinen Hühnerstall mehr. Stattdessen überall Schrott, Bauschutt, Sperrmüll und Heizöl. Drinnen und draußen. Ich glaube manchmal, dass ich diesen Geruch nie wieder aus der Nase bekommen werde. Bis heute arbeiten wir an der Beseitigung aller Schäden.

Im Sommer 2021 standen wir buchstäblich vor den Trümmern unserer Existenz. Ohne die unfassbar große Hilfe von Familie, Freunden, Fremden und Kollegen hätten wir den Wiederaufbau nicht geschafft. Ohne die unzähligen Geld- und Sachspenden wären wir heute ruiniert. Ein Drittel der Kosten wurde auch von der Versicherung übernommen. Besser, als es manch anderem erging! Und doch zahlen wir immer noch so unglaublich viel selbst drauf.

Im Haus musste die gesamte Installation erneuert werden. Seit Anfang November läuft die Heizung wieder. Kann man sich das heute noch vorstellen, wie es ist, wenn aus dem Wasserhahn nur kaltes Wasser kommt? Oder auch gar kein brauchbares Wasser? Die ersten Tage hieß es sogar, dass selbst abkochen nichts nützt. Warmes Wassers gab es monatelang nur aus dem Wasserkocher. In der Küche und im Wohnzimmer liefen 3 Monate die Trocknungsgeräte. Was für ein Höllenlärm. 24/7! Und immer wieder Putz abklopfen, Wände und Böden sandstrahlen, um den Ölfilm loszuwerden. Mörtel anrühren…. Die obere Etage, die das Wasser nicht erreicht hatte, hat der Baudreck innerhalb von Minuten ruiniert.

Im Garten nutzen wir jede freie Minute zum aufräumen, aufbauen und anpflanzen. In den letzten 10 Jahren hatten wir aus einer großen Schafweide ein kleines, grünes Naturparadies geschaffen. Mit der Flut wurde alles wieder auf Anfang gesetzt. Wie viele Helfer uns hier unterstützt haben, kann ich gar nicht mehr zusammen zählen. Angefangen bei den Polizeischülern, den Gartenbauern, dem Maler, dem Fußpfleger, der Physiotherapeutin und dem örtlichen Tischtennisverein die nach Feierabend Bauschutt und Sperrgut weg geräumt haben. Die Kollegen, sie sich tagelang freigenommen haben, um angespülten Kies und kontaminierten Boden rauszuholen. Pflanzen- und Materialspenden, die uns bis heute noch erreichen. Die lieben Freunde, die uns bis heute noch regelmäßig zum Essen einladen, da wir bis heute noch keine Küche haben. Postkarten, Weihnachtsgebäck, kleine Aufmerksamkeiten, die uns fast täglich mit der Post erreichen, bauen uns langsam wieder auf. Diese kleinen Gesten helfen uns, nach vorne zu schauen. Weiterzumachen! Habe ich Euch allen dafür schon genug gedankt?

All denen, die ihren Teil zu unserem Wiederaufbau geleistet habe, möchte ich diesen Text widmen. Egal, ob ich Euch kenne oder nicht! Wir danken Euch von ganzem Herzen!!!

Ein Jahr nach dem verheerenden Hochwasser kehrt langsam die Normalität ein. Die Grundversorgung steht. Die meisten Räume sind saniert. Es gibt wieder eine Küche, einen Gemüsegarten, Hühner. Kurzum: Es gibt wieder Themen, über die ich bloggen kann. Ich möchte Euch in den nächsten Wochen mit nach draußen nehmen, um Euch wenigstens die letzten Züge unseres Wiederaufbaus zu zeigen bzw. die Anfänge unseres neuen Lebens am Rand der Nordeifel. Mit der Flut haben wir die einmalige Chance erhalten, die typischen Anfängerfehler, die jeder – auch wir – in seinem Garten macht, zu korrigieren. Spannende Zeiten zum Bloggen.

Das ist der Blick in unseren Garten. Links: Mai 2021. Rechts Mai 2022. Das Ergebnis kann sich sehen lassen, oder?

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